Geschichten

Zusammen alt werden

Die Krux an einer völlig Verpflichtungs-freien Zeit ist, dass man sehr viel Zeit hat zum Sinnieren hat. Was dabei herauskommen kann, lest Ihr hier. Aber seid gewarnt: ist alles ’n büschen emotional.

Rituale

Als wir beide uns beim Kartenspielen mal wieder leidenschaftlich mit Tiernamen versehen, fühle ich mich ins Jahr 2004 zurück versetzt. In diesem Moment sehe ich uns, wie wir beide auf Deiner unsäglich unbequemen und vor allem ultra-hässlichen Ikea-Couch in der verrauchten 1-Zimmer-Bude in Willihaven sitzen. Stillschweigend erträgst Du die Stunden, in denen ich Tiger Woods bei der PGA-World-Tour seine Grenzen aufzeige. Du würdest viel lieber Need for Speed spielen, aber dazu fehlt mir jegliches Talent.

An jenen Tagen gehörte uns die Welt. Morgens schwänzten wir die Vorlesungen, weil der Kaffee im Foyer der FH und das Abhängen mit unseren Freunde uns um so viel mehr bereicherte. Mittags gab es standesgemäß Pommes in der Cafete, nachmittags wurde gezockt. Spätestens ab 18 Uhr war die gesamte Clique zusammen, um den Feierabend mit Wein, massig Zigaretten, Weib und Gesang einzuläuten. Eines war uns allen klar: Zusammen alt werden, gerne, aber nicht erwachsen!

Alt werden ist nix für Anfänger

Nach erfolgreichem Studium, holte uns der Alltag dann ein und die gemeinsamen „Frei“-Zeiten wichen einem geregelten Alltag. Wir gingen dort hin, wo es Arbeit gab. Die ersten Kinder kamen, die ersten Bäumen wurden gepflanzt, die ersten Scheidungen folgten ebenso, wie die ersten Wehwehchen. Der Spruch an „einem Tag feiern und drei Tage krank“ ist inzwischen weitaus mehr, als nur die graue Theorie. That’s life!

Wirklich schräg ist es, seitdem das Empfinden des Alters nicht mehr mit der tatsächlichen Anzahl an Kerzen auf dem Geburtstagskuchen in Einklang zu stehen mag. Wenn ich morgens in den Spiegel schaue und denke, who the fuck ist die Frau, die mir da mit ihren Falten entgegenblickt? Während ich damals noch mir Würde altern wollte, weiß ich heute, dass der Übergang in die zweite Lebenshälfte lange nicht so einfach ist, wie gedacht.

Im Kopf noch 30

Dieser Artikel entsteht, weil der Song von Snap „The first the last eternity“ Erinnerungen wachwerden lässt. Erinnerungen, nicht nur an das Studium, sondern auch an die Soundboxen im Opel oder, wie in meinem Fall, an einen ziemlich tiefer gelegten Polo mit 16V-Antenne. Mit dem Ding war ich wirklich auf jedem MC-Donalds-Parkplatz ein Hit. Mit der Antenne wohlgemerkt, nicht mit dem Auto. Die Prioritäten wurden damals schon sehr konkret gesetzt.

Es waren die „Good old times“ ohne Kohle, ohne Sorgen und mit einem Ur-Vertrauen, dass heutzutage unwirklich erscheint. Manchmal sehne ich mich, insbesondere nach Letzterem, zurück. Ich frage mich, zu welchem Zeitpunkt habe ich diese Unbeschwertheit gegen die Sorgenfalten von heute eingetauscht? Und: wieso hat mich niemand davor gewarnt?

Manchmal nicht so einfach: Das Leben lieben

Logisch, die bislang gesammelten „Lebens-„Erfahrungen lassen uns wesentlich kritischer, als damals, auf die Welt blicken. Potentielle Gefahren scheinen überall zu lauern. Der Job wird zum Lebensmittelpunkt. Jeder steckt in seinem Alltag fest. Freundschaften zerbrechen, weil die Gesprächsthemen ausbleiben, neue zu schließen fällt zunehmend schwerer. Ein Teil der Leichtigkeit des Seins bleibt auf der Strecke, ob wir es wollen oder nicht.

Jetzt, nach etwa zwei Jahren in der Elfie kann ich festhalten, dass die aufgeführten Herausforderungen dieselben sind. Auch ohne Job. Da wir uns nahezu täglich auf neue Gegebenheiten einstellen müssen (Schlafen, Essen, Versorgung, Menschen), kommen eher noch welche hinzu. Wie in einem festen Heim, geht der Herd kaputt, anstelle des Dachfensters klemmt das Heki. Selbst die Pumpe leistet lange nicht mehr das, was sie sollte. Sowohl die des Womos als auch die Eigene. Dennoch: um es mit den Worten von Vicky Leandros zu sagen „Ich liebe das Leben“. Allein, dass ich auf diesen Song referenziere, spricht für sich.

Achtsamkeit 1.0

An manchen Tagen habe ich Angst davor, was noch kommt. An anderen, und einer von diesen ist heute, denke ich „Scheiss was drauf! Früher hast Du Dir auch nicht jeden Tag Gedanken darüber gemacht, was morgen ist, sondern wie selbstverständlich im Augenblick gelebt. Es ging immer irgendwie mit gutem Ausgang weiter.

Diesem Zustand hinterher jagend, besuchen wir heutzutage teuer bezahlte Kurse. Diese sollen uns die Konzentration auf den Moment lehren, weil wir dazu einfach nicht mehr in der Lage sind. Zu Jugendzeiten – und diese gingen seeehr lange – haben wir uns dafür reihenweise einen Rüffel von Muttern eingefangen. Wir würden ja immer nur „von heute auf morgen“ leben, hieß es. Etwa 30 Jahre später feiern wir diese Fähigkeit als „Achtsamkeit“. Paradox, oder?

Mit dieser Erkenntnis und einer Träne im Knopfloch schließe ich diesen Post. Muss tanzen, es läuft gerade ein sehr, sehr geiler Track (Sonic Empire) von den Members of Mayday. Peace!

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